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Durchquerung der Endmoränen

"Was ich liebte", von Siri Hustvedt

Roman, Rowohlt 2003, 476 Seiten, Schutzumschlag, Lesebändchen
22,90 €


Wer ist Siri Hustvedt? Na, die Frau vom Auster Paul! Ein Schriftsteller-Paar mit gemeinsamer Tochter. Mit gemeinsamem Stil? Ob SIE bei IHM abschreibt, oder ER von IHR?Das wollte ich in Erfahrung bringen.

Wofür Sie 46 MARK ausgeben sollen?

Zunächst einmal für eine lebensnahe Familiengeschichte im 3. Jahrtausend. Der Ich-Erzähler Leo Hertzberg zieht mit seiner Frau Erica in ein Haus, in dem auch ein befreundetes Paar, Lucille und Bill, Wohnung nehmen. Eigenfarbe bekommt dieses herkömmliche Szenario, weil Bill Künstler ist, Leo Kunsthistoriker und die Frauen Geisteswissenschaftlerinnen. Und die Wohnuingen sind "Lofts" in New York.

Der erste von drei Teilen führt das intellektuelle Quartett zusammen. Hustvedt gibt sich Mühe, das Binnenklima präzise zu treffen. Wenn die Autorin Mühe hatte, spürt die Leserin das oft auch - penetrantes Name-Dropping und der Abwurf zahlreicher Bedeutungs-Nebelkerzen erinnern an quälendes Gerede auf Parties in den genannten Kreisen. Zufallsbeispiel? "Erica beugte sich zu Bill und grinste: "Du findest also auch, dass der Roman ein Sack ist, in dem alles Mögliche stecken kann?" "Tristram Shandy, viertes Kapitel, über Horaz ab ovo", sagte Bill und deutete mit dem Zeigefinger zur Decke hinauf." Dann zitiert er noch ein paar Worte aus dem Original, live und ohne Neger.)

Wenn das mit dem Sack stimmt: Ist vielleicht noch mehr drin in der Geschichte? Der Buchfink hat weiter gelesen und meldet treulich: Ja, es ist.

Die Paare bekommen jedes einen Sohn, der Erzähler wird in reifem Alter Vater von Matt, Bill und Lucille kriegen Mark. Alle vier kriegen, wie im Leben, Glück und einen Haufen Probleme.

Zum Glück für Bill gehört Violet, die über weibliche Hysterie forscht und schreibt und sofort erkennt, dass Bill mit einem ausgewachsenen Exemplar verheiratet ist. Sie kämpft klug und siegt, Bill macht sich los von Lucille. Violet wird Stiefmama mit Leib und Seele und das Paar ist glücklich.

Leo freut sich für den FreundBill, denn er findet Violet auch sehr nett. Mit Matt haben seine Frau und er viel Spaß. Der Junge zeichnet mit Talent und recht rätselhaft (woher hat er das nur?). Folgen einige Passagen über amerikanische Kinderaufzucht und den Kunstbetrieb in NY, wo Bill sich mit - rätselhaften - Installationen einen Namen macht. So weit zum Glück.

Sohn Matt stirbt bei einem Bootsunfall in seichtem Wasser. Teil 2 eröffnet mit der Todesnachricht und zeigt, wie Erica und Leo daran beinahe zerbrechen, trotz der wunderbaren Hilfe von Violet und Bill. Erica nimmt Reißaus und wird sich wohl zeitlebens der Heimat nicht mehr nähern können, ohne zusammenzubechen. Sie schreibt Leo, telefoniert manchmal. Leo freundet sich mit Mark an, der ihm Matt ersetzen soll. Mark ist lieb und spontan, hakt schon mal sein Knie bei Leo ein, wenn er "Harpo Marx" ist. Mark hat viele Gesichter, viele Stimmen. Zu viele. Er lügt, dass sich die Balken biegen, stiehlt bei seinen Eltern und bei Leo, hat gruseligen Umgang mit der Künstlertunte Teddy, und wenn man das so auflistet, ist es kaum zu glauben, dass die Erziehungsberechtigten nichts von seinem Drogenkonsum bemerken und immer wieder auf seine treuen Dackelaugen reinfallen. Vorsicht: Das schmerzt beim Lesen!

Leo erzählt diese Geschichten im Rückblick. Er ist inzwischen pensioniert und hat so viel Abstand zu den haarsträubenden Episoden, dass er ehrlich und nüchtern spricht - glaubwürdig sogar. Die Autorin hat sich nachvollziehbar in die Männerrolle gedacht. Der dritte Teil lebt von dem Spiel, dass Mark mit den Erwachsenen treibt. Spannend wie ein früher Hitchcock? Spannend wie das Leben selbst, aber das wissen nur Autoren, die so alt sind wie Siri Hustvedt, Jg. 55. Keine Popliteratin, sondern Schriftstellerin. Ist die Zeit für Expeditionen in die endmoränen des Lebens gekommen? Das würde unserer Literatur gut tun.

Uns was ist mit Auster/Hustvedt? Ja, sie schreiben vergleichbar. Zettbeh die Verwendung zahlreicher Fachbücher über Hysterie oder Kunst; die anstrengend genauen Beschreibungen von Bills Werken: Das erinnert doch sehr an zB des Ehemanns quälende Inhaltsangaben von Stummfilmen im Buch der Illusionen. Aber bittesehr - ein Blick in Autors Trickkiste genügt nicht, um den Wert eines dann doch noch gut erzählten Buches zu schmälern.

Der Buchfink meint:

Gebrauchswert hoch, für Leser über 38.

(c) Simon Croll, Februar 2003

 



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