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A.L. Kennedy: Gleißendes Glück

Wagenbach Verlag 2001

Allison Louise Kennedy bricht ein Tabu. Das ist im Kulturbetrieb nicht neu und die Eintrittskarte in die Welt des Veröffentlichten. Die Schottin wagt es, über Gott zu schreiben. Liegt uns hier ein religiöses Werk vor? Noch dazu ein glaubwürdiges?

Helen Brindle ist verheiratet mit dem muffligen, tierisch behaarten und prügelnden Mr. Brindle. Wie es zu dieser Ehe kam, erfahren wir nicht. Was sie zusammenhält, ist vorerst die Bequemlichkeit des rabiaten Feinschmeckers und die Rechtgläubigkeit der Köchin, Büglerin und Putzfrau. Kinder sind diesem Paar nicht geschenkt, was es der 1965 geborenen Glasgower Autorin erleichtert, ihren Faden zu spinnen.

Wir lernen die missmutige Hausfrau erst kennen, als ihr heimlicher Liebhaber sie verlassen hat. Kein geringerer als Gottvater selbst hat sich von ihr abgewandt. Er war der einzige, der sie verstehen konnte. "Er hatte sich mal mehr, mal weniger offenbart, aber er war doch immer, absolut, ewig da gewesen (...) unendlich zugänglich, ein Trost ihres Fleisches." Auf den Verlust dieser Liebe hin flieht sie in Geschäftigkeit. Sie ist "nur noch ein Bündel von Gewohnheiten": Jeden Freitag macht sie sich z.B. auf die Jagd nach einem raffinierten Rezept für Mr. Brindle. Oder sie bügelt zum x-ten Mal Kragen und Manschetten. Oder lauscht, auf dem Teppich liegend, dem Telekolleg. Amüsant ist zu lesen, wie sie die Buchhandlungen nach Selbsthilfe-Ratgebern durchforstet, "hinunter zu den Abteilungen Religion, Selbsthilfe und Psychologie. Diese drei Abteilungen schienen immer zusammen zu stehen, vielleicht mußten sie sich gegeseitig stützen." Hilfe findet sie hier allerdings, wen wundert`s, nicht. "Die Titel zwinkerten ihr zu wie die Visitenkarten fröhlicher literarischer Trickbetrüger." (Glaube nur niemand, es fänden sich im Buch noch viele weitere Perlen der Satire. Leider.)

Es ist Professor Edward E. Gluck, von dem sie sich, zunächst im Radio, angesprochen fühlt und dessen gut verkäufliches Buch "Gluck - Die neue Kybernetik" sie wie verbotene Lektüre verschlingt: "Er verstand den Lauf der Dinge, und sie konnte ihm in seinem Buch beim Verstehen zusehen." Mit findigen Sprechblasen wird eine Heilslehre skizziert, und der Leser, sofern guten Willens, nimmt es gelassen hin. Es genügt zu wissen, dass es darum geht, dem verhassten Computer eins auszuwischen, der "die Menschheit, ihr Potential und ihre Stärken, die sich im menschlichen Gehirn manifestieren, (...) systematisch auslöscht." Mrs. Brindle (die Erzählerin benennt ihre Figur vorwiegend mit dem Familiennamen) ist innerlich erschüttert und angeregt. Gluck "versicherte ihr ganz persönlich, sie sei das Wunder, das sich selbst erschafft." Der Reisende in Sachen Kybernetik - nächstes Symposion: Stuttgart - macht durch Stimme, Coverfoto und Theorie einen so vielversprechenden Eindruck, dass Mrs. Brindle für ihren Haushaltsgeldbeschaffer eine Erholungsreise mit der Schwester erfindet, Reiseziel: Stuttgart/Germany.

Folgt das schwächste Kapitel dieses Romans. Die Autorin schreibt jetzt so dermaßen zögerlich und distanziert von ihrer Heldin, dass man sich fragt: Ist das noch Stilmittel oder schon Unvermögen? Die verklemmte alterlose Hausfrau himmelt an, der Herr Professor lässt sich herab. Und ja, er ist ja so groß, "wirklich groß", "auffallend groß", "überragend". Stimme? Wir ahnen es schon: Sonor. Gluck hört ihr zu, während sie, vor Aufregung, nichts sagt. Gibt sich, na wie wohl, jovial. Lädt ein zum Essen, das sie, na klar, nicht anrührt, während er den Weltmann mimt. Wie allerdings ein Ballettbesuch beschrieben wird, bei dem sieben Finninnen allerlei zeigen, das sei hier nicht verraten.

Die beiden umkreisen sich wie Katze und Kater den heißen Brei, und so liest sichs hier auch. Die Ruhelose wird beherrscht von rigiden Treuegesetzen, die ihr Gott selbst vorsagt, der sich seiner Mrs. Brindle jetzt wieder nähert. Gott will sie schützen - so versteht es die Angefochtene. Der Kybernetiker hält sich aus Gründen zurück, die er erst später genauestens erläutern wird. Noch könnte man sein Verhalten als Menschenfreundlichkeit missdeuten.
So reist Mrs. Brindle schließlich wieder heim zu ihrem Pastetenkenner. Der hat ein Händchen dafür, die geheimen Wege seiner Gattin zu ergründen. Die sogenannte häusliche Gewalt kommt ins finstere Spiel, was Helen allerdings immer noch nicht nicht von ihrem Tugendpfad abbringt. Das ist eine weitere Stelle, wo des Lesers Durchhaltevermögen strapaziert wird.
Doch es kommt zu Briefen, Telonanten und weiteren Treffen. Die Geschichte nimmt Fahrt auf, als sich herausstellt, dass nicht der Professor der deprimierten Helen, sondern umgekehrt die erstarkte Helen dem verstörten Helden helfen soll. Helen findet in Glucks Arbeitszimmer ein Pornofoto, das der "überaus große" Herr Gluck zu Studien braucht, wie er sagt. Nachts gesteht er dann am Telefon seine Sucht nach bildlicher Darstellung aller erdenklichen Arten menschlichen Sexualverhaltens. Die Sucht bestimmt sein Leben, seinen Tagesablauf, sein Denken. Sein Arbeitszimmer ist bis zur Decke vollgestopft mit archivierten Pornovideos. Gegen sein Zwangsverhalten kann er sich selbst nicht helfen. Erst als er sich, eher symbolisch, mit Helen vereinigt, indem er ihr Schamhaar rasiert, scheint der Bann zumindest für ihn gebrochen.

Mrs. Brindle verlässt ihn kommentarlos nach dieser Episode und kehrt, auch hier von Gott geleitet, zurück zu ihrem Schläger. Sie unterwirft sich schuldbewusst ihrem Martyrium, kocht und wäscht und bügelt weiter, bis sie sich, mit rasierter Scham, dem Peiniger zu erkennen gibt. Es kommt zu einer finalen Auseinandersetzung, die sie nur knapp überlebt. Auf diese Weise gedemütigt, gewinnt sie eine neue Art von Freiheit, verliert ihre Hemmungen und nimmt die Beziehung zum Edward E. Gluck wieder auf. Um auf der letzten Seite festzustellen: "Du hast wirklich große Füße." Darauf er: "Ich bin sehr groß. (...) Hätte ich keine großen Füße, würde ich umfallen. Das wollen wir doch nicht." Und Gott ist mit den Liebenden, der "Gott der eifernden, geduldigen Liebe."

Zugegeben: Wenn man die Geschichte so komprimiert, bleibt nur wenig übrig. Deshalb sei hier ausdrücklich vermerkt: Der Kampf dieser Frau um ihr Leben ist kein Sozialkitsch - was leicht hätte passieren können. Das Buch ist, mit Einschränkungen, wohl wirklich ein religiöses Buch. Es erzählt auf manchmal komische, oft unappetitliche Weise davon, wie jemand mit Gott um ein erfülltes Leben ringt - den Schöpfer dabei oft genug missverstehend, so als hätte er ein Interesse daran, seine Mrs. Brindle in ihrem Elend gefangen zu setzen. Das hat er nicht. In diesem Sinne ist "Gleissendes Glück" religiös.

Wieso Wagenbach allerdings den Titel falsch schreibt, bleibt ein Rätsel.

Simon Croll 2002

 



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