Hanno Erdwein
             
             Herr und E-Hund
              oder: Unterwegs mit Harro 
            
             Es riecht nach Frühling. Morgenwind kommt 
              weniger schneidend und bewegt zartes Blattgrün. Ich bin früh 
              auf den Beinen. Harro dicht neben mir. Ein Stück durch den 
              stadtnahen Wald. Dahinter Felder, auf denen das Leben langsam erwacht. 
              Fernes und stark gedämpftes Rumoren. Die Zivilisation. Hinter 
              mir in längeren Abständen der Ruf des Waldkauzes. Wir 
              gehen noch einige hundert Meter ins Feld hinaus. So, hier sind wir 
              richtig. "Harro, sitz!" Mein Begleiter folgt aufs Wort. Leicht berühre 
              ich mit der Linken eine Stelle zwischen seinen Ohren. Im winzigen 
              Hörer macht es Knack und Harro meldet: "Aufnahme bereit." Jetzt 
              noch den Stöpsel fürs andere Ohr. Aha, nun nehme ich mit 
              Harros geschärften Lauschern die Umgebung wahr. Sehr deutlich 
              das Knistern am Wegrand. Unweit raschelt was durch trockenes Laub. 
              "Harro, Start!", "Läuft", bestätigt seine angenehme Stimme. 
              Und da! Erstes leises Piepsen jenes Vogels, auf den ich es abgesehen 
              hab. Tri- Tri-Tri. Langsam schraubt er sich in die Luft und die 
              Perlenkette seines Liedes reißt nicht mehr ab. Es gibt nichts 
              Anrührenderes als der zarte Morgengesang der Feldlerche, wenn 
              alles ringsum noch schläft. Ein zweiter Sänger meldet 
              sich am Boden. Auch er schwingt sich auf. Im Duett fliegen beide 
              über uns hin. Ziehen mal kleine, mal große Kreise zu 
              unseren Häupten. 
            
             Waldbank. Frühstück. Harros Vorratstasche 
              enthält Brote und einen Apfel. Kauend hör ich mir unsere 
              Aufnahme an. Bin entzückt über die Klarheit der Wiedergabe. 
              Kein Wunder. In den Ohren meines elektronischen Hundes sitzen phantastisch 
              gute Mikrophone. Und auf der Festplatte in seinem Bauch ist reichlich 
              Platz. Liebevoll kraule ich ihm das Nackenfell. Wohlig bewegt er 
              den Kopf unter meiner Hand. Etwas von dem legendären Tamagotschi 
              hat er zweifellos geerbt. 
             "Das ist aber ein feiner Hund!" Der alte Mann 
              bleibt vor uns stehen und beugt sich zu Harro hinab. "Bitte nicht 
              anfassen", warne ich. Erschrocken weicht der Alte einen Schritt 
              zurück. "Beißt der?" Ich lächle: "Das nicht gerade. 
              Aber er mag's nicht, wenn man ihm zu nahe kommt." Aus gebührendem 
              Abstand beäugt der Alte mein Tier skeptisch. "Das ist ein Blindenhund, 
              ja?" Ich nicke und schluck einen Bissen hinunter. "Ein sehr ruhiges 
              Tier", bemerkt der Mann, immer noch mit seinem Krückstock vor 
              mir her scharrend. . Räuspere meine Stimmbänder frei: 
              "Kein Tier im eigentlichen Sinne. Eher ein Roboter, der wie ein 
              Hund aussieht." "Was? Ein Roboter?", kommt es entrüstet. "Nein! 
              Damit will ich nichts zu tun haben." Macht kehrt und stockt eilig 
              davon. Ich schmunzle ihm hinterher. Eigenartig, wie die Leute auf 
              diese künstlichen Lebewesen reagieren. 
            
             Über mir im Baum läßt sich eine 
              Singdrossel nieder und beginnt zu singen. Andächtig lausche 
              ich. Falte leise die Brottüte. Steck sie weg. Lüpfe Harros 
              Rückenfell. Greif aus dem Hohlraum die drahtlose Tastatur. 
              "Harro, Netzverbindung!" Der Hund meldet: "Einwahl. Netzkontakt. 
              Fünf E-Mails." Ich lass Absender und Inhalt vorlesen. Beantworte 
              zwei wichtige Briefe auf dem Keyboard. Und surf noch ein wenig herum. 
              Wetterprognose. Neueste Nachrichten. Hörfunk/TV-Programm. 
            
             Immer noch die Drossel droben im Baum. Weitere 
              Sänger stimmen in den Chorus ein: Mönchsgrasmücke, 
              Buchfink, Goldammer. Bei dem Konzert wird's mir ganz lyrisch. Das 
              will festgehalten werden. Öffne ein Textfile und skizziere 
              ein neues Gedicht. 
            
             "Anruf auf Kanal eins", meldet Harro. "Kannst 
              du sehen, wer es ist?" "Lyra." "Stell durch." Ich speichere die 
              Verse ab und lehn mich zurück. Genieße erste Sonnenstrahlen. 
              "Hallo Liebes." "Du Schatz", wispert meine Frau, "hast Du schöne 
              Aufnahmen gemacht?" "Danke, sind bestens. Aber Du hast doch sicher 
              was auf dem Herzen, oder?" "Wir brauchen noch ein paar Flaschen 
              von dem leckeren Roten, wenn am Sonntag ..." "Gut, ich kümmer 
              mich drum. Sonst noch was?" "Ja. Der Schaden am Dach." "Hmmm" "Wir 
              müssen es unbedint neu eindecken lassen. Beim nächsten 
              Sturm ..." "Stimmt. Aber Dachdecker Möhlmann ist tot. Und sein 
              Nachfolger? ... Weiß nicht mal wo der wohnt." "Du wirst ihn 
              schon ausfindig machen. geh doch vorbei und red mal mit ihm." "Richtig. 
              Das wird das Beste sein. Harro findet den Weg" "Bis dann, Lieber." 
              "Bis dann. Was gibts heut Mittag?" "Frag Harro. von dem hab ich 
              das Rezept." "Hoffentlich keinen Hundekuchen?!" Sie hängt lachend 
              ein. 
            
             Hochbetrieb im Supermarkt. Mein Hund, den Warenkorb 
              im Schlepp und ich schlängeln uns durch die Gänge. "Was?! 
              Ein Hund hier im Laden!" "Unverschämt!" Entrüstungen dieser 
              Art bin ich gewöhnt. Harros Designer gaben ihm das Aussehen 
              eines Schäferhundes. Neulich war Lyra mit ihm in der Kirche. 
              Betretenes Gemurmel verstummte selbst bei der Predigt nicht. So 
              auch hier. Ich beruhige die Leute: "Keine Sorge. Der Hund ist ein 
              Roboter." Nun macht man einen noch weiteren Bogen um uns. "Getränkeabteilung", 
              dirigiere ich. Harro kennt sich aus. "Weinflaschen." Mein elektronischer 
              Freund wendet sich nach rechts. Ich greife ins Regal und halte ihm 
              eine Flasche nach der anderen vor die Kameraaugen. Er liest das 
              Etikett. Kein Problem für ihn. Endlich hab ich, was ich will. 
              Zehn Flaschen leg ich in den Korb. Wir rollen zur Kasse. "Können 
              Sie uns die Flaschen anliefern?" "Kein Problem. Geht es um fünf?" 
              Ich zahl mit Kreditkarte. Und schon sind wir wieder auf der Straße. 
              
            
             "Harro, jetzt wirds schwierig", "Kein korrekter 
              Befehl." "Vergiss es." Also Möhlmann ist tot. Existiert ein 
              Nachfolger? Wenn ja, wie heißt er und wo finde ich ihn? Wir 
              queren etliche Straßen und einige Kreuzungen. Ampeln? Harro 
              meistert sie spielend. Mit eingebautem GPS und der Kartographie 
              des gesamten Rheinlands kennt er sich aus. Ohne Übertreibung 
              kann ich behaupten, dass mich Harro schnell und sicher in die schmalste 
              Hintergasse bringen würde. Auch saugt er sich regelmäßig 
              Die Aktualisierung ohne mein Zutun aus dem Internet. Fahrpläne 
              für Bahn und Bus eingeschlossen. 
             "Stop", befehle ich. Bleibe nachdenkend stehen. 
              "Aktueller Standort?" "Bachstraße, Höhe Marienkirche." 
              "Salon Schneider", ordne ich an. Harro trabt los. Schon höre 
              ich das typische Schnipp-Schnipp einer Schere durch die offene Ladentür 
              und unverkennbar riecht es nach Eau de Cologne. Vor dem Schaufenster 
              klopf ich Harros Nackenfell: "Sitz." Mit wenigen Schritten steh 
              ich im Laden. "Moin Hanno!" "High Fritz. Hast Du einen Augenblick 
              Zeit?" "Moment, bin gleich fertig." Haarschneidemaschine schnurrt. 
              Kölnisch-Wasser- Sprüher. Abbürsten der Kleidung. 
              "Was hast Du auf dem Herzen?" "Der alte Möhlmann ..." "Schade 
              um ihn. Feiner Kerl. Viel zu früh ins Gras gebissen." "Stimmt. 
              Aber wer ist sein Nachfolger?" Fritz holt tief Luft: "Warte mal. 
              Irgendein Soundso aus Lüden." "Kannst Du das rausbekommen?" 
              "Kann ich. Monika ist das reinste Nachschlagewerk - hehehe." Wieselt 
              in den Hintergrund. Hör ihn mit seiner Frau palavern. "Wo ist 
              das Telefonbuch?" "Keine Ahnung. Du hast zuletzt drin geblättert." 
              "Immer ich. So ein Quatsch! Ach, da liegt es doch." "Wenn das ein 
              Hund wär, hätt er Dich längst gebissen." "Ruhe. Ich 
              muss suchen. Ra - Re - Ri Ro - Rossenbach - Rorstock. Ist er das?" 
              "Steht doch dahinter, Dachdecker." Fritz klappt die Schwarte zu 
              und kommt nach vorn. "Rostock. Rehgrund 15", strahlt er. "Hat ein 
              wenig gedauert." Macht nichts. Ich hab Zeit. Aber ... was ist da 
              draußen ... was hat Harro?" 
            
             Kinderstimmen und Harros tiefes Grollen. Dann 
              ein Halbwüchsiger, der losbrüllt. Fritz und ich stürzen 
              nach draußen. Polizeisirene. Autotüren klappen. "Wer 
              hat uns gerufen?" Und immer noch weiter das Toben des Jungen . "Dein 
              Hund hat ihn bei der Kehle." "Harro, Aus!" "Ist das Ihr Hund?" Der 
              Ordnungshüter steht bedrohlich dicht vor mir. "Ihr Tier ist 
              lebensgefährlich aggressiv." Lächele: "Kann ein Roboter 
              aggressiv sein?" Höre, wie der Uniformierte nach Luft schnappt. 
              "Roboter? Diese verdammten Dinger machen immer mehr Stress!" Ich: 
              "Weniger Ärger als ein psychotisches Tier." Hole tief Luft: 
              "Wenn ein wirklicher Hund den Jungen gepackt hätte, wäre 
              er vermutlich tot." "Wie wollen Sie das wissen?" "Harro beißt 
              nicht zu. Er greift nur und hält fest." "Sie sind gut Mann. 
              Der hat ein strammes Gebiss." "Aber er setzt es nicht ein. Außerdem 
              hat er vorweg gewarnt." " "Gewarnt? Sind Sie toll Mann?!" "Nein. 
              Gehen Sie doch einmal auf Harro zu." "Werd den Teufel tun!" "Ich 
              versichere Ihnen, es passiert nichts. Nähern Sie sich langsam. 
              Will Ihnen nur demonstrieren, wie er reagiert." "Auf Ihre Verantwortung. 
              Wenn was passiert, sind Sie dran." Macht vorsichtig ein paar Schritte. 
              "Bitte nicht näher kommen", meldet sich Harro. Verdutzt bleibt 
              der Polizist stehen. "Das Biest kann sprechen." "Sagte ich doch. 
              Der Junge wurde gewarnt und hat nicht darauf gehört." "Tja, 
              das ist gediegen", brummt der Ordnungshüter und pflanzt sich 
              wieder vor mich hin. "Er hat also Ihren Hund 
              herausgefordert." "So ist es." Ich greife Harros Halfter. "Einprogrammierter 
              Selbstschutz gegen Diebstahl und Beschädigung." "Aja, soso", 
              brummt die Staatsgewalt. "Ihr Harro ist ein Blindenhund." Ich grinse: 
              "Sie merken aber auch alles" Kraule meinem Tier das Nackenfell. 
              "Übrigens war er es, der Sie gerufen hat." Staunendes Luftschnappen. 
              "Das kann der also auch?" Wendet sich zur Seite: "Aber der Junge 
              hat ganz schön die Hosen voll. Reibt sich immer noch den Hals, 
              wo ihn Ihr Köter gepackt hat." Ich räusper mich: "Wird 
              ihm hoffentlich eine Lehre sein", "Dann machts mal gut ihr zwei 
              Beiden. Und Du Bürschchen, Du lässt solche Hunde demnächst 
              in Frieden." Polizist zieht brummend, der Jüngling fluchend 
              ab. Dann klappt eine Autotür. Mit Kavalierstart prescht die 
              Staatsgewalt davon. Fritz in der Ladentür lacht: "Hab mich 
              nie so köstlich amüsiert." Ich wink ihm Abschied nehmend 
              zu. 
            
             Mit GPS und Straßenkarte ist es für 
              Harro ein Leichtes, Dachdecker Rostock im Rehgrund zu finden. Der 
              Mann macht einen freundlichen Eindruck. Nimmt mich beim Arm. Bietet 
              mir Platz an. Harro darf mit in die gute Stube. Wir plaudern ein 
              Weilchen über dies und das, bis ich zur Sache komme und den 
              Schaden an unserem Dach erwähne. "Darf ich mir das einmal anschauen?" 
              Wir einigen uns auf einen Termin. Rostock drückt mir zum Abschied 
              die Hand. Ein kräftiger und ehrlicher Druck. Damit wird er 
              sicher ordentlich zupacken können. 
             Unterwegs befrage ich meinen Hund: "Harro, Analyse 
              Rostock." "Typ, tüchtiger Handwerker. Auge ehrlich. Umgebung 
              sauber. Ordnungsliebe." Die Analysephunktion hab ich noch nicht 
              lange und befinde mich damit noch in der Testphase. Aber Harro bestätigt 
              meinen persönlichen Eindruck. 
            
             Daheim wartet Lyra bereits mit dem Mittagessen. 
              Harro bekommt auch was. Einen tüchtigen Schluck Energie aus 
              der Ladestation. Gleichzeitig werden die Daten mit dem häuslichen 
              Server abgeglichen. So hab ich die Lerchen und den Inhalt der Mails 
              auf dem Rechner zur Weiterverarbeitung verfügbar. Mit dem Schneiden 
              der Vogelaufnahmen und dem Einblenden passender Hintergrundmusik 
              beschäftige ich mich im Laufe des Nachmittags. 
            
             Am Abend sieht man mich und meinen E-Hund wieder 
              durch die Straßen schlendern. "Harro, Dorfschenke." Mit Hallo 
              werd ich empfangen. "Ein Pils für mich", ruf ich schon an der 
              Tür. "Und der Hund? bekommt der ne Knackwurst?" Gelächter. 
              Man kennt meinen Begleiter aus Chips und Fell bereits. "Sag mal, 
              Hanno ...", Jochen, der Wirt beugt sich über den Tresen. "Das 
              ist doch eine ganz pfiffige Maschine." Ich nicke bestätigend. 
              "Dann kann die Dir doch auch sagen, ob ein Mädchen schön 
              ist oder nicht." Lachen ringsum. "Das wird Harro können. Aber 
              wozu? Ich hab doch Lyra." Noch mehr Gelächter. Ich trink mein 
              Glas aus und bekomme ein neues hingeschoben. "Warte mal", beeilt 
              sich Jochen, den einmal gesponnenen Faden nicht abreißen zu 
              lassen. "Der kann Dir also von jedem sagen, wie er aussieht?" "Ach 
              weißt Du, Jochen, das ist nicht immer unbedingt angenehm zu 
              wissen." Man klopft mir amüsiert auf die Schulter. "Prima, 
              Hanno. Das war gut. Die nächste geht auf meine Rechnung, Jochen." 
              "Neee", gibt der Wirt keine Ruhe, "das will ich wissen." Seine Hand 
              deutet irgendwo in den Raum. "Da sitzt Martens Hubert. Den soll 
              Dein Köter uns mal beschreiben." Hubert, das weiß ich 
              vom Hörensagen, ist weiß Gott kein Filmstar. Wenn Harro 
              sich in allzu negative Details verliert, wird das bestimmt keine 
              Schmeichelei für Fleischer Marten. "Muss das sein?" "Nu mach 
              schon, Hanno. Lass hören, was Dein pfiffiger Begleiter kann." 
              Und wie dann auch noch einige andere mich drängen und mir weiteres 
              Bier ausgeben, kann ich nicht anders. Harro muss sein Urteil fällen 
              und das über den Außenlautsprecher. Es ist in der Tat 
              keine Schmeichelei, demonstriert aber, wozu ein intelligentes Programm 
              in der Lage ist. Die Wirkung bleibt nicht aus. Man brüllt laut 
              vor Lachen. Und Martens Hubert springt wütend auf. "Das Miststück 
              hau ich zu Schrott!" "Bitte nicht näher kommen", mahnt Harro. 
              "Ich werd Dir, Du!" "Nicht näher." Diesen Satz untermalt Harro 
              mit eindeutigem Hundegrollen. "Ach was! Den Dreckskasten zerleg 
              ich in Einzelteile." "Letzte Warnung! Abstand halten!" Meines Hundes 
              Knurrgeräusche hätten jeden anderen vorsichtig gemacht. 
              Aber Hubert stürzt auf Harro los. Will handgreiflich werden. 
              Wird aber durch meinen Robothund von den Füßen geholt. 
              Und dann hat ihn Harro bei der Kehle. "Reißt das Vieh von 
              mir weg", zetert Hubert. "Erst wenn du versprichst, vernünftig 
              zu sein.." Nicht nur Jochen ist beeindruckt. "Erstaunlich", hör 
              ich von allen Seiten. Hubert kommt los und muss eine Thekenrunde 
              geben. Hält sich aber wohlweislich von Harro fern. 
            
             Spät unternehm ich mit meinem tüchtigen 
              Begleiter noch eine Runde durch den Gemeindepark. Ich weiß 
              einen Platz, wo zur Nachtstunde ein höchst seltener Vogel singen 
              wird. Nahe beim Bach legen wir uns auf die Lauer. Harros Ohren sind 
              in Bereitschaft. Leises Plätschern und Gluckern vom Wasserlauf. 
              Längst haben andere Vögel ihr Lied eingestellt. Und auch 
              hier hab ich Glück mit dem Fehlen störender Nebengeräusche. 
              Die Nacht ist still und die Luft angenehm mild. Ja, da ist sie! 
              Ihre erste zu Herzen gehende Strophe. Nicht mal zehn Meter entfernt 
              sitzt die Nachtigall im Strauchwerk. 
             Die Schönheit ihres Gesangs ist oft genug 
              beschrieben worden und dennoch nicht ganz und gar erfasst. Er lässt 
              sich nur unvollkommen charakterisieren. Man muss ihn hören, 
              um seinen Schmelz, seine Einmaligkeit zu begreifen. Keine noch so 
              gekonnte Stereoaufnahme kann wiedergeben, was das Ohr, was die Sinne 
              eines unmittelbar erlebten Nachtigall-Gesanges bringt. 
            
             
            Dennoch geb ich Harro Befehl, den Gesang aufzuzeichnen. 
            
             
             "Na, ihr Herumstromerer!" Lyra empfängt uns 
              an der Haustür. Harro hat ihr unser Kommen bereits telefonisch 
              mitgeteilt. Harro, auf den ich um alles in der Welt nicht mehr verzichten 
              möchte. 
            
             Dabei ist das in dieser Form erst nur eine Fiktion. 
              Es werden wohl noch ein paar Jahre ins Land gehen, bis der japanische 
              Prototyp eines elektronischen Blindenhundes auch in Europa eingeführt 
              wird. Sicher wird er nur wenige der von mir beschriebenen Funktionen 
              beinhalten. Und wenn schon. Das wäre mehr, als bis alle anderen 
              derzeitigen 
              Orientierungshilfen zusammengenommen. 
            
             (Bonn, 2. September 2002)